Heimliche Flirts und verborgene Blicke

Erinnerungen ans 1964 abgerissene Café Orient

2. April 2003, Wiesbadener Kurier (Jan Chaberny)

Vor knapp vier Jahrzehnten im Jahr 1964, wurde das einstmals so exquisite Café Orient, in seiner Blütezeit beliebter Treffpunkt der Wiesbadener Prominenz, Opfer der Abrissbagger. Doch noch heute ranken sich Geschichten und Legenden um das Wiesbadener Café, das im Jahr 1900 feierlich eingeweiht wurde und in durchgehend orientalischer Architektur gestaltet, mit luxuriösen Interior ausgestattet, vor allem in den 20er Jahren Schauplatz opulenter Bälle und rauschender Feste war.

Unter Leitung des Künstlers Gudo Knabjahann zeichnen und aquarellieren zehn Seniorinnen und Senioren des Vereins „Lebensabendbewegung“ (LAB) das einst so exotische Kaffeehaus. Geht es nach Bernd Richefort, einem Nachkommen der ehemaligen Besitzer, sollen die Kunstwerke später zusammen mit weiteren Exponaten im Stadtmuseum ausgestellt werden.

Die Gespräche der Malerinnen und Maler drehen sich fast ausschließlich um das Café. Um gesammelte Erfahrungen, um eigene Erinnerungen. Darum, wie das eigene Leben mit dem Café verwoben ist.

Als Emilie Mamberger ein junges Mädchen war, vielleicht 14, vielleicht 15 Jahre alt, damals im Frühling, kurz bevor der Krieg ausbrach, ging sie zum ersten mal ins Café Orient. Mit zwei guten Freundinnen. Und ganz heimlich, die Eltern durften nicht erfahren. Emilie Mamberger kann sich an ihren ersten Besuch noch ganz genau erinnern. „Ich war aufgeregt, den ganzen Tag über“, sagt die heute 80-Jährige. „Schließlich galt das Café als mondän und bizarr. Es war alles äußerst stillvoll, die gesamte Inneneinrichtung teuer und orientalisch, fast schon ein bisschen dekadent.“

Tolle Abende habe sie im Café verbracht, sagt Emilie Mamberger heute. Ihre Stimme klingt wehmütig. Sie hat getanzt und laute Musik gehört. Sie hat geflirtet, heimlich. Und noch heute denkt Emilie Mamberger gerne an damals zurück, an die vielen Abende, die manchmal wild und immer spannend waren. Die den Reiz des Verbotenen versprühten. Und die für Emilie Mamberger immer mit dem Café Orient verbunden bleiben.

Auch Ingeborg Schmidt besucht den Malkurs, und wenn sie über das Café Orient spricht, dann spricht sie über einen jungen Mann mit dunklen Haaren und schwarzen Augen. Mit feingliedrigen Fingern und einem sanften Lächeln. Diesen Mann hat Schmidt, als sie ein Teenager war und am Wochenende zum Café Orient fuhr, beobachtet. Jedes Mal. Und immer aus dem Verborgenen. Heimlich, unerkannt.

„Ich weiß noch, ich habe damals ganz schrecklich für den jungen Mann geschwärmt“, sagt die heute 81-jährige mit leiser Stimme. „Und dabei wusste ich nicht einmal seinen Namen“. Ingeborg Schmidt hat den dunkelhaarigen, den sanften und den jungen Mann damals im Café nicht angesprochen. Niemals, sie hat sich nicht getraut. Aber sie ist die ganze Zeit nur wegen ihm ins Café Orient gefahren. Das sagt sie heute, nach alle den Jahren. Sie hat sich nur für ihn schön gemacht, sich nur für ihn bunte Kleider angezogen. Sich nur für ihn dezent die Lippen geschminkt.

Und vielleicht hat der unbekannte junge Mann Ingeborg Schmidt ja einmal gesehen. Vielleicht denkt er heute, wenn er an das Café Orient denkt, an ein hübsches Mädchen zurück, mit blonden Haaren und blauen Augen, dass vor vielen Jahren still und schüchtern im Café Orient stand. Und er wollte sie ansprechen, einmal.

Und hat es nicht getan.

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