Vor 50 Jahren wurde das Café Orient abgerissen

16. April 2014, Wiesbadener Tagblatt (Ingeborg Toth)

Wiesbaden. Das Café Orient lag außerhalb der Stadt auf einer Höhe, am Rande eines Eichenhains. Es war für seine Fernsicht berühmt und sah so aus, wie man sich einen morgenländischen Palast vorstellt. Es besaß sogar vergoldete Kuppeln. Am 20. März 1900 Unter den Eichen eröffnet, rückten dem Café Orient am 16. April 1964 – vor genau 50 Jahren – Abrissbirnen zu Leibe. Ein Hamburger Bauunternehmer hatte das Grundstück erworben und errichtete ein achtgeschossiges Wohnhaus, nachdem er das Historismus-Gebäude abgerissen hatte.

Der Erbauer war Alfred Georgi, Hofkoch unter drei Kaisern, der zuletzt Wilhelm II. diente. Georgi verliebte sich in das Dekor des Orients. Auf der Pariser Weltausstellung 1889 entdeckte er den Reiz orientalisierter Architektur. Nachdem er im Gefolge des Kaisers Konstantinopel besucht hatte, hing er dem Traum vom Palast wie aus 1001 Nacht nach. Als Ruheständler zog er nach Wiesbaden und beauftragte den Architekten Carl Dormann mit einem Bau, der ganz dem Zeitgeschmack entsprach. Mit drei Kuppeltürmen, die an Moscheen erinnern sollten. Die Fassade wurde mit weiß-roten Klinker-Streifen und blau unterlegten orientalischen Verzierungen geschmückt. Für den Innenausbau engagierte Georgi den Wiesbadener Bildhauer und Stuckateur Ludwig Wagner. Die Handwerker wurden in Marokko angeworben.

Das Café wurde zu einer der ersten Adressen für die Wiesbadener Gesellschaft. Für Georgi endete das Abenteuer jedoch in einem finanziellen Desaster. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat das prachtvolle Gebäude noch zweimal den Besitzer gewechselt. Der gastronomische Betrieb ging schließlich in den Besitz des Elsässer Hotelfachmanns Georges Richefort über.

Richefort führte das Haus zu neuer Blüte. Seine Kunden waren nicht zuletzt die in der Stadt stationierten französischen Besatzungstruppen, die das Etablissement gerne aufsuchten. Im Café Orient wurden wieder rauschende Feste gefeiert. Mit der Wirtschaftskrise blieben gegen Ende der „Goldenen 20er“ die Gäste aus. Richefort musste im November 1929 Konkurs anmelden.

Nur für den letzten Nachfahren des letzten Caféhaus-Betreibers, Bernd Richefort, ist die ganze Pracht noch lebendig. Er fand im Nachlass seiner Mutter alte Schätze aus der Glanzzeit des Cafés. Nach originalen Bauplänen im Maßstab 1:25 ließ er ein Modell fertigen – für 15 000 Euro. Alte Stücke aus dem Café Orient fanden den Weg zu Richefort, der selbstständiger Fensterputzer ist. Er besitzt heute unter anderem zwei alte Turmspitzen aus Zink und eine Bilderserie, die den Abriss des zweistöckigen Gebäudes dokumentiert.

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