Das „Orient“ brachte kein Glück

Das exotische Café wurde für jeden seiner Besitzer schnell zum Albtraum

20. Oktober 2006, Wiesbadener Tagblatt (Manfred Knispel)

Das Archiv des Wiesbadener Pressehauses beherbergt eine schier unerschöpfliche Zahl von Fotos, die Erinnerungen wecken an wichtige Momente in der Geschichte dieser Stadt oder an Orte, die Geschichte geschrieben haben. Wir haben einige davon ausgewählt und wollen gleichzeitig zeigen, wie es jetzt an der Stelle aussieht, wo damals der Fotograf auf den Auslöser drückte. Unser heutiges Foto stammt aus dem Jahr 1964.

Am 16. April 1964 existiert das „Café Orient“ nicht mehr. Die Abrissbagger, die auf unserem Foto noch bei der Arbeit sind, haben ihr Werk vollbracht. Eines der exotischsten Gebäude der Stadt ist de Erdboden gleich gemacht. Denkmalschutz? An so etwas dachte damals offenbar niemand.

64 Jahre zuvor hatte das Café eröffnet, genau gesagt am 10. März 1900. Alfred Georgi, einst Hofkoch von Kaiser Wilhelm II, hatte sich Unter den Eichen vom damals bekannten Architekten Carl Dromann mit dem Kaffeehaus einen Traum verwirklichen. Maurische Fassade mit gezackten Arkaden in Form von Hufeisen und Eselsrücken, drei moscheeartige Kuppeltürme, blau unterlegte orientalische Verzierungen mit gestreiften Verklinkerungen und aufwändige Stalaktitgesimse – weithin gab es nichts Vergleichbares. Die Besuchermassen waren begeistert, doch für Georgi wird aus dem Traum schon bald ein Albtraum. Bereits eineinhalb Jahre später muss er verkaufen, weil er die 180.000 Mark Hypothekenschulden nicht zurück zahlen kann.

Es ist eine mehr als wechselvolle Geschichte, die das „Café Orient“ in den folgenden Jahrzehnten durchlebt. 1901 geht das Gebäude in den Besitz des aus Nürnberg kommenden Christian Schnorr über, der sich ebenfalls finanziell übernimmt. Drei Jahre später steht ein erneuter Besitzwechsel in Haus: Der Konditor Karl Berges zieht in das exotische Gebäude ein. Doch auch ihm wachsen schließlich die Schulden über den Kopf. Als ihn schließlich auch noch seine Frau verlässt, verkauft er das Café „samt Wirtsgarten und Pissoir“ für 150.000 Mark an den aus dem Elsass stammenden Hotel-Fachmann Georges Richefort, der schon 1914 von ihm das Kaffeehaus gepachtet hatte.

Unter seiner Ägide erlebt das „Orient“ eine neue Blüte, nicht zuletzt auch durch die französische Besatzung, die gerne und oft sei Etablissement aufsucht. Rauschende Feste und Bälle werden hier gefeiert. 1929 meldet aber auch er Konkurs an. Er muss für 70.000 Mar verkaufen. Doch dem neuen Eigentümer Gustav Düllberg fehlt ebenfalls das Geld, um die dringend notwendige Sanierung des Hauses in Angriff zu nehmen.

Der letzte Besitzer ist ein Handwerksmeister. Er verkleinert den Restaurationsbetrieb und vermietet den Rest des Gebäudes. Al er stirbt, verkaufen seine Erben das Gebäude an eine Grundstücksgesellschaft, die das inzwischen verfallene Caféhaus abreißen lässt und ein gesichtsloses Hochhaus mit Wohnungen errichten lässt, das auf unserem aktuellen Foto zu sehen ist.

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