Ostersonne über dem Orient
Bernd Richefort hält die Erinnerung an das Café wach
19. April 2003, Wiesbadener Tageblatt (Peter Scheffler)
Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über dem mit Türmen und Bögen verzierten Gebäude, die Stühle und Tische im großen Garten hinter dem Haus sind mit fein heraus geputzten Erwachsenen und Kindern besetzt, die sich Kaffee und Kuchen oder eine Limonade schmecken lassen. So könnte es zu Ostern 1903 in und um das Café Orient Unter den Eichen ausgesehen haben, das lange Zeit das exotische Ausflugsziel für die Wiesbadener und ihre Gäste darstellte.
Geblieben sind von dem im maurischen Stiel errichteten Gebäude nur wenige Erinnerungsstücke. Denn knapp 65 Jahre, nach dem der einstige Hofkoch von Kaiser Wilhelm II., Alfred Georgi sich auf dem von Eichen umgebenen Grundstück seinen Lebenstraum verwirklichte, rückten die Abbruchkolonnen an und machten das Gebäude dem Erdboden gleich. An seiner Stelle wurde ein achtgeschossiges Hochhaus errichtet, in dem heute viele Mieter wohnen, die nicht wissen, das hier einmal ein beliebter Treffpunkt der Wiesbadener „High Society“ war und in einem großen Saal Familienfeiern und Feste abgehalten wurden.
Gäbe es nicht Bernd Richefort, Nachkomme einer der ehemaligen Besitzer, würden heute wohl nur noch ein paar vergilbte Postkarten und einige wenige Bilder an das „Orient“ erinnern, in dem sich manche Romanze anbahnte oder französische und englische Besatzungsoffiziere ihre Familien oder Freundinnen hin ausführten.
Richefort wollte sich nicht damit zufrieden geben, dass das beliebte Café nur noch in der Erinnerung der Älteren Wiesbadener wach blieb, er machte sich auf die Suche nach Sammlern, die Utensilien des Cafés vor der Vernichtung bewahrt hatten. Und er wurde fündig!
So hatte beispielsweise ein Sammler vier alte Stühle aus dem Gartenbereich des Cafés gerettet, ein anderer hatte zwei kunstvoll gestaltete Steinfiguren vor der Vernichtung bewahrt, während ein Dritter sogar zwei kunstvoll gestaltete Aufsätze auf den Türmen beim Abriss des Gebäudes im Jahr 1964 sichergestellt hatte. Wieder andere bewahrten die Erinnerung an schöne Zeiten im Café Orient in Form von Bestecken, Teegläsern oder einer silbernen Gebäckschale und meldeten sich nach entsprechenden Suchanzeigen in der Zeitung bei Richefort.
Der ist glücklich „über jedes Stück, das aufgehoben wurde, denn leider ist in der Vergangenheit doch viel, was an das Café Orient erinnert, einfach weggeschmissen worden.“ Er selbst hat zwar auch noch aus Familienbesitz etwas in die heutige Zeit herüber gerettet, doch würde er beispielsweise gerne – und sei es nur leihweise - den Kleiderständer oder ein Fenster, das beim Abbruch des Hauses von einem bislang Unbekannten mitgenommen worden war, zu Gesicht bekommen.
Bernd Richefort möchte irgendwann einmal eine große Ausstellung, falls möglich in den Räumen des Stadtarchivs, über das Café Orient organisieren, „damit sich jeder Interessierte einmal ein Bild davon machen kann, was hier ohne Not der Spitzhacke geopfert worden ist.“ Und sicherlich wird in einer solchen Ausstellung das Modell des Kaffeehauses, das in einer Spezialwerkstatt im thüringischen Ruhla kurz vor seiner Fertigstellung steht, die Blicke der Besucher auf sich ziehen.
15.000 Euro muss Richefort dafür bezahlen, der einen Teil der Kosten unter anderem durch den Verkauf einer kleinen Postkartenserie mit Ansichten des Café Orient wieder hereinholen möchte. Außerdem steht er noch in Verhandlungen mit der Wiesbadener Historikerin Brigitte Forßbohm wegen der Herausgabe eines Buches über Wiesbadens schönstes Café.