Orient – der Traum des kaiserlichen Leibkochs

Das prachtvolle, exotische Kaffeehaus fiel dem „Modernismus“ der Nachkriegszeit zum Opfer

12. Mai 1995, Wiesbadener Tagblatt (Günther Leicher)

Die Stadträte im Wiesbadener Rathaus taten sich vor hundert Jahren (genauer: 1899) schwer, das phantastische Vorhaben es ehemaligen kaiserlichen Leibkochs Alfred Georgi zu genehmigen, ein Kaffeehaus in der nordwestlichen Waldlandschaft Wiesbadens zu eröffnen, das nicht nur „Orient“ hießen, sondern auch orientalisch aussehen sollte – das legendäre „Café Orient“, an das sich heute nur noch wenige erinnern, und die Enkel-Generation der Wiesbadener Stadtväter hatte 65 Jahre später keine großen Bedenken, dem Abbruch dieses orientalischen Palastes zuzustimmen.

Zwischen diesen beiden Entscheidungen liegt die Geschichte eines in der Tat einmaligen Hauses, das einst international berühmt war. Wiesbaden war zu Anfang des 20. Jahrhunderts die europäische Kurstadt schlechthin und alljährlicher Treffpunkt der oberen Zehntausend aus aller Welt.

Aber die Träume derer, die hier oben, gegenüber dem Gartenbetrieb des nicht minder populären „Café Ritter“, nicht nur türkischen Mokka servierten, sondern ein nach immer neuer Unterhaltung fragendes internationales Publikum in echt orientalisch-exotischem Rahmen zu bewirten bemüht waren, gingen indessen zumindest in der Anfangszeit nicht auf.

Innerhalb eines einzigen Jahres wurde der maurische Prachtbau, der im Gesamtbild wie im baulichen Detail außen wie innen eher einem Sultanspalast als einem Wald-Café ähnelte, verwirklicht, nachdem der Magistrat 1899 sein Placet gegeben hatte. Georgi ließ seinen Traum von dem damals in Wiesbaden bereits mit mehreren Bauten hervorgetretenen Architekten Carl Dormann in Stein umsetzen.

Dormann schuf in der Tat einen Kaffee-Palast, wie man ihn eher in Istanbul gesucht hätte als in Wiesbaden: Ein hochragender achteckiger Turm krönte den mit reich gegliederter und charakteristischen Hufeisen-Bögen und Säulen gezierten Fassade, zwei Kuppel-Eckbauten, großen Terrassen und einem ausgedehnten Kaffeegarten ringsum versehenen Bau, der zu Frühlingsanfang des Jahres 1900 seine Pforten den interessierten Besuchern öffnete.

An Reiz konnte es das neue "Orient" mit zwei bereits bestehenden anderen „exotischen“ Bauwerken Wiesbadens, der Russischen Kapelle und der Synagoge am Michelsberg, durchaus aufnehmen, wenn es auch profaneren Zwecken diente.

Der Zulauf war groß, aber die Schulden, in die sich der Erbauer gestürzt hatte, waren noch größer. Zwei Jahre später stieg ein Nürnberger Gastronom in das Unternehmen ein und nach drei weiteren Jahren wurde der Wiesbadener Konditormeister Karl Berges zum Betreiber des exotischen Kaffeehauses. Sein Nachfolger, ein Elsässer hatte mehr Glück: Er profitierte davon, dass Wiesbaden nach dem Ersten Weltkrieg von französischen Truppen besetzt ist. Deren Offiziere, aber auch die neue Gesellschaft, findet Gefallen an dem orientalischen Palast, von dessen Terrassen der Blick weit über Wiesbaden hinaus reicht.

Als sich nach 1923 die Zeiten langsam bessern und Wiesbaden als internationale Kurstadt wieder in Mode kommt, erlebt das „Orient“ seine erste und einzige Blütezeit. Das Geschäft geht so gut, dass der elsässische Unternehmer es sogar um einen Tanzsaal mit einem Fassungsvermögen von 1000 Personen erweitern will, was indessen vom damaligen Magistrat mit Rücksicht auf die unmittelbare Nachbarschaft zum Nordfriedhof nicht genehmigt wird.

Im Jahr 1929 wechselt das exotische Kaffeehaus noch einmal den Eigentümer. Das Haus bleibt ein beliebtes Ziel der Wiesbadener und ihrer Gäste, doch die schwierigen Jahre nach der Weltwirtschaftskrise, die Jahre nach 1933 und der Zweite Weltkrieg setzen dem „Orient“ so zu, dass es nach Kriegsende keine rechte Chancen mehr zur wirtschaftlichen Erholung hat und die für die inzwischen längst notwendige gründliche Sanierung erforderlichen Mittel nicht mehr aufgebracht werden können.

Ein wieder neuer Eigentümer vermietet Teile des Komplexes an kleinere Dienstleistungsunternehmen und schränkt den Kaffeehausbetrieb ein. Das Haus büßt mehr und mehr an Attraktivität ein, obwohl es unverändert als orientalisches Attribut der Wiesbadener Baugeschichte interessant bleibt. Wie so mach anderes interessantes Wiesbadener Bauwerk fällt es in den sechziger Jahren, in denen beinahe auch die „City Ost“ mit ihrem herzlichen Villenbestand ein Opfer der „Modernisten“ geworden wäre, der Spekulation anheim. Ein Hamburger Unternehmer erwirbt das „Orient“, lässt das exotische Gebäude kurzerhand abreißen und errichtet an seiner Stelle ein großes und einträglicheres Wohngebäude.

Für den Fremden, der vorübergeht, ist das „Orient“ kein Begriff und selbst in der Erinnerung der Wiesbadener verblasst der exotische Palast immer mehr. Schade drum.

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