Der Traum des Hofkochs
Bernd Richefort sammelt weiterhin eifrig Erinnerungsstücke des einstige Wiesbadener Ausflugsziels
24. Januar 2018, Wiesbadener Kurier (Ingeborg Toth)
Das 1964 abgerissene Café Orient als Postkartenmotiv. Foto: Sammlung Richefort
Nichts geht über Nachruhm. Das einst so prachtvolle Café Orient Unter den Eichen gräbt sich Jahr für Jahr tiefer ins Stadtgedächtnis ein. Dafür sorgt der Wiesbadener Unternehmer Bernd Richefort mit seiner beharrlichen Art. Er hat jetzt am Kranzplatz einen geräumigen Schaukasten angemietet, der mit Erinnerungstücken an das ehedem so beliebte Ausflugsziel erinnert. In der Passage, die zum Eingang einer Bank führt, wurde eine Ahnung von Weihnachten im Café Orient vermittelt. Demnächst erfährt der Betrachter, wie Unter den Eichen Karneval gefeiert wurde.
Das Café Orient hat sogar Eingang ins Stadtlexikon gefunden. Auf Seite 130 ist die Geschichte des Gebäudes nachzulesen. An Kaisers Geburtstag, am 27. Januar 1900, eröffnet, wurde es im April 1964 abgerissen. Angeblich, weil es zu baufällig war. Im Stadtmuseum am Markt ist eine Turmspitze aus bemaltem Zink ausgestellt, die etwas vom Flair des Gebäudes vermittelt. Seine orientalischen und maurischen Elemente entsprachen dem Zeitgeschmack – typisch für die Zeit des Historismus. Für den hatte man in den 1960er Jahren in Wiesbaden keinen Blick. Anders im Jahr 2018. Jetzt ist ein Kalender erschienen, Wiesbadens „Beliebteste Ausflugziele gestern und heute“. Er zeigt eine Ansicht des legendären Kaffeehauses, mit dem sich der Hofkoch von Wilhelm II. einen Traum erfüllt. Kaiserin Auguste Viktoria schenkte ihrem einstigen Koch das Silberbesteck für das Café.
Dies alles ist nachzulesen auf den Internetseiten, die Bernd Richefort stets à jour hält. Er hat eines Tages entdeckt, dass seine Familiengeschichte zugleich ein Stück Stadtgeschichte ist. Es fing für ihn alles mit einem Schuhkarton voller Erinnerungstücke ans Café Orient an. Bernd Richefort entdeckte die rechteckige Schachtel 2001 im Nachlass seiner Mutter. Historische Fotografien, seltene Luftbilder, Innenaufnahmen und Baupläne. Und viele Szenen aus dem Leben seiner Großeltern, Georges und Lina Richefort. Der Hotelfachmann aus dem Elsass machte das Kaffeehaus zu einer der ersten Wiesbadener Adressen. Vor ihm hatten verschiedene Besitzer und Pächter das Haus glücklos geführt. Georges Richefort bewies ab 1914 Gespür für den Geist des Hauses, als er das pittoreske Gebäude zunächst pachtete und dann erwarb. In den Goldenen 20er Jahren führte er es zu neuer Blüte. Rauschende Bälle und glanzvolle Feste wurden Unter den Eichen gefeiert – bis zur Weltwirtschaftkrise.
Es sind die prächtigen Zeiten des Cafés Orient, an die der Enkel Bernd Richefort erinnern will. Er hat einige wenige Teile des Silbers aufgetrieben, das der Erbauer des orientalischen Palasts, Alfred Georgi, von der Kaiserin geschenkt bekam – mit der Gravur seines Namens. Erst George Richefort ließ Besteckteile anfertigen, die mit „Café Orient“ gezeichnet sind. Ein silberner Kaffeelöffel ist aufgetaucht und kam in die Sammlung des Enkels. Was der an alten Postkarten, Fotos, Dokumentationen, Zeitungsberichten und Original-Ausstattungen zusammengetragen hat, nimmt inzwischen viel Platz ein. Eine Ausstellung könnte man damit locker bestreiten. Zumal der Enkel das Café im Maßstab 1:25 in dem Modellbaubetrieb „Mini-a-Thür“ in Ruhla bei Eisenach nachbauen ließ. Er hat die Rekonstruktion im Miniaturformat bisher nur einmal der Wiesbadener Öffentlichkeit zeigen können – im „Schaufenster Stadtmuseum“.