Ein Stück aus dem Café Orient
Das Café Orient war lange eine Institution in Wiesbaden. Heute existieren nur noch Erinnerungsstücke – darunter eine kaiserliche Suppenkelle. Wie kam es dazu?
2020, Wiesbadener Kurier (Viola Bolduan)
Ob die Kaiserin sie wohl selbst einmal in der Hand hatte? Das käme auf die Beziehung an, die Auguste Viktoria, die Gemahlin von Wilhelm 11., zu ihrem Hofkoch unterhielt. Anzunehmen ist, es hat gemundet, was Alfred Georgi auf die Tafel brachte. Zum Abschied schenkt die Kaiserin ihm ein Silber-Service - aus Dank, wie auch Anlass entsprechend. Denn nach seiner Küchenkarriere baut Georgi sich ein Haus. Ein Haus, das ihn an seine arabische Herkunft erinnern soll und einem dekorativ exotischen Baustil seiner Zeit entspricht. Es wird das maurische Kaffeehaus "Unter den Eichen", in Wiesbaden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt und beliebt als „Café Orient“. Auf Postkarten-Ansichten hat es überlebt - 1964 wurde das markante Gebäude abgerissen. Eine Suppenkelle ist geblieben.
Wenige Objekte aus dem noblen Etablissement hat Bernd Richefort, Enkel einer der nachkommenden Besitzerfamilien, bis heute aufbewahrt. Turmspitzen vom Bau und aus der Schatulle eben eine von Kaiserinnenhand übergebene silberne Suppenkelle, eingraviert der Nachname des Beschenkten: Georgi. Es ist davon auszugehen, dass Auguste Viktoria sich denn doch etwas großzügiger gezeigt hat, als nur diesen einen Suppen-Ausschanklöffel zu vergeben - aber er ist eben das einzig übrig gebliebene Teil des ursprünglichen Bestecks, das Sammler Bernd Richefort bisher hat auffinden können. Vielleicht hülfe eine allgemeine Suche auf Dachböden und in Kellern? Das aber dann „weltweit“, meint der heutige Löffelbesitzer, denn andere Teile aus dem Café-Orient-lnventar können als vor mehr als 100 Jahren eingesteckte Andenken überall in Frieden ruhen, oder auch unbemerkt vergammeln. Über weitere Funde - so wie damals aus dem Rhein-Schlamm bei Tiefstand - wäre Richefort also dankbar.
Bezeugt diese eine Suppenkelle den Ursprung des Gafé Orient, hält Bernd Richefort die Zeit, da seine Großeltern Lina und Georges das maurische Kaffeehaus betrieben, mit 20 Löffeln in Ehren. Sie sind Marke „Café Orient“, während im Besteck des Café Ritter, damals „Unter den Eichen" gegenüber gelegen, der Besitzername „Emil/E. Ritter" eingraviert ist. Davon sind dem Sammler zwei große Teile und ein kleiner geblieben. Das Messer fehlt, wahrscheinlich aber auch noch mindestens ein bis zwei Kuchengabeln vom Tisch des Nachbarn, an dem die einfachen Leute einfachen Kaffee schlürften, derweil im Café Orient das süße Tässchen Mokka der städtischen Hautevolee serviert wurde.
Jedenfalls wäre diese eine kaiserliche, 120 Jahre alte Suppenkelle aus diesem Haus doch ein historischer Schatz fürs Stadtmuseum, denkt Bernd Richefort. Das kleine Erbe aus seiner Familie möchte er gerne noch in der eigenen Sammlung behalten. Postkarten mit alten Ansichten des Café Orient präsentiert er auf seiner Website www.cafe-orient.com, Motive und Relikte im Schaukasten am Kranzplatz.
Das Suppenkellen-Geschenk der Kaiserin an den Bauherrn des Café Orient käme im Museum natürlich nur dann adäquat zur Geltung, wenn auch ein Suppen-Rezept aus der kaiserlichen Hofküche gefunden, und zu Besuchszeiten immer mal wieder auch ausgeführt würde - also die Kelle ihre angestammte Anwendung fände - zumindest in der Vorstellung.